Liebe Sorgeberechtigte, liebe Eltern,
wir sind alle sehr bestürzt und betroffen über den Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt am 20.12.2024. Wir fühlen mit allen Betroffenen und ihren Angehörigen.
Die Reaktionen auf solch ein Extremereignis können ganz unterschiedlich sein. Manche Kinder kommen schnell darüber hinweg, andere brauchen längere Zeit und reagieren mit psychischen oder körperlichen Symptomen. Wir möchten Sie darüber informieren, welche Reaktionen möglicherweise auftreten und wie Sie damit umgehen können.
MÖGLICHE REAKTIONEN
Jedes Kind reagiert auf belastende Erfahrungen anders. Ihr Kind kann sich in den nächsten Tagen beispielsweise unwohl oder müde fühlen, unruhig, nervös oder ängstlich sein, gereizt, aggressiv oder auf andere Weise „verändert“. Ihr Kind mag möglicherweise nicht wie üblich essen, kann sich nicht konzentrieren, nicht einschlafen oder hat immer wiederkehrende Albträume.
Häufig spielen Kinder, die ein Extremereignis miterlebt haben, diese Erfahrung spielerisch nach („posttraumatisches Spiel“) oder zeigen ein Vermeidungsverhalten. Das bedeutet, sie versuchen allem, was sie an das Geschehene erinnern könnte, aus dem Weg zu gehen.
Einige Kinder zeigen Verhaltensweisen, die ihrem Entwicklungsstand eigentlich nicht mehr angemessen sind. Auf einmal sind sie wieder besonders anhänglich, reagieren heftig auf Abschieds- und Trennungssituationen oder sprechen wieder in Babysprache. Manchmal kann es auch sein, dass Kinder wieder einnässen oder einkoten. Andere körperliche Symptome können ebenfalls auftreten, zum Beispiel Übelkeit, Bauch- oder Kopfschmerzen.
Derartige Reaktionen können auftreten, sie müssen es aber nicht. Wenn sie auftreten, zeigt dies einfach, dass das Erlebte nachwirkt und sich Ihr Kind damit auseinandersetzt. Wenn Ihr Kind angemessene Unterstützung erfährt, werden solche Reaktionen in den meisten Fällen nach wenigen Tagen oder Wochen auch wieder abklingen.
WAS KÖNNEN SIE TUN?
Unterstützen Sie Ihr Kind mit aufmerksamer, liebevoller Zuwendung und Besonnenheit. Vor allem geben Sie ihm Zeit, das Geschehene zu verarbeiten und sich davon zu erholen. Hier einige Hinweise:
- Lassen Sie Ihr Kind in den nächsten Tagen möglichst nicht allein. Oft ist es schon eine große Hilfe, wenn eine vertraute Bezugsperson in der Nähe ist. Manchmal kann es auch sinnvoll sein, Ihr Kind auf eigenen Wunsch vorübergehend in Ihrem Bett schlafen zu lassen.
- Ein strukturierter Tagesablauf mit festen Schlaf- und Essenszeiten gibt Halt und Sicherheit. Achten Sie darauf, dass Gewohntes möglichst beibehalten wird und halten Sie Absprachen und Zusagen jetzt ganz besonders zuverlässig ein.
- Sprechen Sie mit Ihrem Kind über das Ereignis, wenn es dies wünscht. Hören Sie aufmerksam und geduldig zu, wenn es von dem Erlebten erzählt, auch wenn es sich wiederholt. Drängen Sie Ihr Kind aber nicht und fragen Sie es nicht aus.
- Wenn Ihr Kind Fragen zu dem Ereignis stellt, beantworten Sie diese offen und ehrlich. Selbstverständlich dürfen Sie dabei auch zugeben, wenn Sie etwas selbst nicht wissen. Sie können aber gemeinsam überlegen, wer Ihnen die gewünschte Antwort geben kann.
- Wenn Ihr Kind Schuldgefühle zeigt, ohne dass es dafür einen objektiv erkennbaren Grund gibt, sagen Sie ihm ausdrücklich, dass es nicht für das Ereignis verantwortlich ist. Erläutern Sie die tatsächlichen Ursachen des Geschehens, so dass Ihr Kind diese auch selbst verstehen und nachvollziehen kann.
- Schützen Sie Ihr Kind vor einer zu intensiven Medienberichterstattung über das Geschehene. Immer wieder mit bestimmten Bildern und Schilderungen konfrontiert zu werden, hilft ganz sicher nicht.
- Fragen Sie Ihr Kind, ob es das Erlebte aufschreiben oder aufmalen möchte.
- Sorgen Sie dafür, dass Ihr Kind sich körperlich betätigt (Rad fahren, Ball spielen usw.) und möglichst viel Zeit an der frischen Luft verbringt. Eine gesunde Ernährung ist immer wichtig, besonders auch jetzt.
- Unternehmen Sie gemeinsame Aktivitäten, die Ihrem Kind üblicherweise auch früher Freude bereitet haben.
- Sorgen Sie dafür, dass Ihr Kind Zeit mit Großeltern, Freunden oder anderen vertrauten Personen verbringen kann, die es besonders gerne mag.
- Verheimlichen Sie bei eigener Betroffenheit Ihre Betroffenheit nicht, sondern sprechen Sie ganz offen darüber. Helfen Sie Ihrem Kind zu verstehen, warum Sie auch selbst so reagieren, wie Sie es tun.
- Zeigen Sie Geduld und Verständnis für die genannten Reaktionen und nehmen Sie Ihr Kind mit seinen Bedürfnissen ernst.
- Informieren Sie auch die Lehrkräfte Ihres Kindes darüber.
WEITERE HILFE
Manche Kinder sind nach einem Extremereignis besonders stark belastet. In bestimmten Situationen kann deshalb eine spezielle fachliche Hilfe notwendig sein. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn
- die in diesem Faltblatt beschriebenen körperlichen oder psychischen Reaktionen Ihres Kindes längere Zeit anhalten oder sehr stark ausgeprägt sind,
- die Leistungen Ihres Kindes in der Schule dauerhaft nachlassen,
-
Ihr Kind sich plötzlich ständig mit Ihnen, seinen Freunden oder anderen Menschen aus seinem Umfeld streitet oder
-
Sie aus anderen Gründen den Eindruck haben, dass Ihr Kind sich nach dem Ereignis deutlich verändert hat.
Bundesweit gibt es eine Reihe von Personen und Institutionen, die Sie in diesem Fall sehr kompetent und professionell unterstützen können. Dazu gehören zum Beispiel Trauma-Ambulanzen, niedergelassene und psychotraumatologisch geschulte Kinderpsychotherapeuten/-innen sowie spezialisierte Notfallseelsorger/-innen und Kriseninterventionsteams. Auch Ihre Kinderärztin bzw. Ihr Kinderarzt kann ein/e erste/r Ansprechpartner/-in sein. Scheuen Sie sich nicht, um Rat zu fragen!
WO SIE UNTERSTÜTZUNG ERHALTEN
Telefonseelsorge
0800 111 0 111 | 0800 111 0 222
anonym, kostenfrei, Möglichkeit der Chat- oder Mailberatung
Telefonberatung: täglich 24 Stunden
https://www.telefonseelsorge.de/
Bundesopferbeauftragter: Betreuung der Betroffenen, psychosoziale Beratung (Verletzte und
deren Angehörige, Zeugen und Ersthelfer) 0800 000 9546; 24 Stunden täglich
Schulpsychologische Beratung
▪ Schulpsychologische Hotline geschaltet seit dem 23.12.24, täglich 10 - 18 Uhr: 0345 – 131 887 53
▪ Schulpsychologische Beratung entsprechend der Zuständigkeiten
(https://landesschulamt.sachsen-anhalt.de/behoerde/schulpsychologische-beratung/kontakt )
▪psychosoziale Notfallhilfe des Uniklinikums
0391 67 25380
Vor Ort: Haus 8, Ebene 4 psychologische Betreuung für Angehörige
Trauma-Ambulanz: Psychotherapeutische Unterstützung für Betroffene
Schnelle und unbürokratische Hilfe für Menschen, die das Geschehene psychisch belastet, gibt es in folgenden Ambulanzen in Sachsen-Anhalt:
Magdeburg: Trauma-Ambulanz für Gewaltopfer Universitätsklinik Magdeburg, Universitätsklinik Magdeburg A.ö.R., Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Leipziger Straße 44, 39120 Magdeburg, 0391 6713483
Magdeburg: Trauma-Ambulanz für Kinder und Jugendliche Universitätsklinik Magdeburg, (Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin des Kindes- und Jugendalters der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg an der Klinikum Magdeburg GmbH, Birkenallee 34, 39130 Magdeburg: 0391 7918470
Magdeburg: Gewaltopferschutz-Ambulanz Universitätsklinik, (Leipziger Str. 44, Haus 28, 39120 Magdeburg): werktags von 07:30 - 16:00 Uhr: 0391 6715843. Außerhalb dieser Zeiten ist der diensthabende Rechtsmediziner über 0391 6701 erreichbar.
Halle (Saale): Trauma-Ambulanz Universitätsklinikum Halle (Saale) (Psychiatrische Institutsambulanz (PIA), Magdeburger Straße 22, 06112 Halle (Saale), Telefon: 0345 5573639
Wittenberg: Trauma-Ambulanz Klinik Bosse Wittenberg (Hans-Lufft-Straße 5, 06886 Lutherstadt Wittenberg): Telefon 03491 476381
Dessau-Roßlau: St. Joseph Krankenhaus Dessau: Telefon: 0340 55691532 oder 0340 5569118
Kinder- und Jugendtelefon „Nummer gegen Kummer“
116 111 | 0800 111 0 333
anonym, kostenfrei, Möglichkeit der Chat- oder Mailberatung
Telefonberatung: MO - SA 7 - 22 Uhr| MO/MI/DO 10 - 12 Uhr
https://www.nummergegenkummer.de/kinder-und-jugendtelefon.html
Elterntelefon „Nummer gegen Kummer“
0800 111 0 550
anonym, kostenfrei
Telefonberatung: MO - FR 9 - 17 Uhr | DI/DO 17 - 19 Uhr
https://www.nummergegenkummer.de/elterntelefon.html
Unfallkasse Sachsen-Anhalt: schnelle, unbürokratische Hilfe für Betroffene: beratung@ukst.de, 03923 751 – 146, jeweils von 9 - 12 Uhr
Quelle dieses Infotextes:
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (2018). Wenn du ein Unglück miterlebt hast… Informationen für Jugendliche. www.bkk.bund.de | Verantwortlich für den Inhalt der Quelle: Prof. Dr. Karutz, Notfallpädagogisches Institut Essen, www.notfallpaedagogik.de