Raspberry Pi 4B

Spielzeug oder Arbeitsplatzrechner?


Ralf Krause, moodleSCHULE e.V.
Referent in der Lehrerfortbildung

Ist der Raspberry Pi 4B ein Spielzeug?
Diese Frage lässt sich nicht so einfach beantworten!

Ein echter Spielecomputer ist der Raspberry Pi sicherlich nicht. Gaming-Computer zeichnen sich üblicherweise durch protzige schwarze Gehäuse aus, hochgetaktete Prozessoren, viel Arbeitsspeicher, extrem schnelle SSDs, besonders leistungsstarke Grafikkarten und ausgeklügelte Kühlsysteme mit unüberhörbar lauten Lüftern. Gaming-Computer kosten durchaus mehrere Tausend Euro. Also ist der Raspberry Pi wohl nichts zum Spielen?!

Auf der Webseite https://raspberrypi.org springen dem Betrachter sofort das grellbunte Layout und die schrillen Zeichnungen und Videos ins Auge. Hier erwartet sicherlich niemand einen ernsthaften Computer zum Arbeiten. Die Raspberry Pi Foundation hat sich zum Ziel gesetzt, den Bereich Informatik in Schulen und Universitäten zu fördern. Die Miniplatine erfüllt wichtige Aufgaben beim Lernen, Experimentieren, Programmieren und Spielen. Über die Webseite sind unendlich viele überraschende und witzige Projekte aus aller Welt verlinkt … also ist der Raspberry Pi doch was zum Spielen und Lernen!

Technischer Überblick

Der Raspberry Pi 4B ist sehr klein … die kleine Miniplatine misst nur 56 mm mal 85 mm und ist damit nur minimal größer als eine Kreditkarte. Der Prozessor ist ein System-on-a-Chip (SoC). Verwendet werden solche Prozessoren in Tablets oder Smartphones, aber auch in Systemen zur Datenerfassung, Steuerung oder Automatisierung.

Die technischen Details dieser Miniplatine können sich aber durchaus sehen lassen. Der schnelle 64-Bit-Prozessor des Raspberry Pi 4B hat 4 Kerne und ist mit 1,5 GigaHertz getaktet. Der Arbeitsspeicher (RAM) ist je nach Ausführung ein, zwei oder vier GigaByte groß. Über zwei Micro-HDMI-Schnittstellen können ein oder zwei Bildschirme angeschlossen werden. Zum Ladendes Betriebssystems und zum Speichern von Daten verwendet der Raspberry Pi eine microSD-Karte mit mindestens 8 GB … die microSD-Karten mit mehr Speicherplatz funktionieren ebenfalls. Zur Stromversorgung wird ein USB-C-Netzteil (5.1V/3A) angeschlossen.
https://www.raspberrypi.org/products/raspberry-pi-4-model-b/specifications/

Insgesamt sind vier USB-Schnittstellen vorhanden, jeweils zwei mit USB 2.0 (Tastatur, Maus) und zwei mit USB 3.0 (USB-Stick, USB-Festplatte), eine LAN-Schnittstelle mit Gigabit, außerdem WLAN 802.11b/g/n/ac und Bluetooth 5.0. Für Audio gibt es einen vierpoligen 3,5mm-Klinkenstecker (Lautsprecher, Kopfhörer, Mikrofon). Über ein Flachbandkabel lässt sich eine Kamera direkt mit der Platine verbinden.

Als Besonderheit hat der Raspberry Pi eine Leiste mit 40 GPIO-Pins (general purpose input / output), von denen eine Vielzahl programmierbar sind und auf die ich in einem gesonderten Artikel eingehen werde.

Kann der Raspberry Pi einen Arbeitsplatzrechner ersetzen?

Bei der Ausstattung einer Schule werden immer wieder Computerräume mit Windows-Rechnern geplant und angeschafft. Warum? Scheinbar glauben diejenigen, die die Entscheidung für die Beschaffung treffen, dass Computer unbedingt in Computerräumen stehen und mit dem proprietären Betriebssystem Windows laufen sollen. Dabei hat sich die Arbeitswelt und die Gesellschaft grundsätzlich verändert. Computer sind überall und stehen nicht mehr nur in Büros.

Welche Anforderungen werden üblicherweise an die Computer in einer Schule gestellt? Grundsätzlich? Informationssuche im Internet, Schreiben und Drucken von Texten, Erstellen von Präsentationen, Tabellenkalkulation, Lernvideo anschauen. Und spezieller? Programmieren mit Scratch, Python und Java im Informatikunterricht. Ist das wirklich alles, was Schule zu bieten hat?

Offene Software und offene Hardware!

Ich denke, dass der Einsatz digitaler Medien im individualisierten projektorientierten Lernsettings wesentlich umfangreicher ausfallen muss. Ich denke aber auch, dass im Unterricht öffentlicher Schulen konzeptionell offene Hardware und offene Software eingesetzt werden muss. Kinder und Jugendliche sollen lernen, die technischen Zusammenhänge ihrer Umwelt zu beobachten, zu analysieren und weiterzuentwickeln. Mit geschlossenen System geht das aber nicht. Der beste pädagogische Ansatz zur Umsetzung dieser Forderung ist, tatsächlich offene Hardware und offene Software in der Schule einzusetzen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Open_Source
https://de.wikipedia.org/wiki/Open-Source-Hardware

Der Raspberry Pi 4B ist offene Hardware … alle Bauteile und alle Schaltpläne sind verfügbar. Jeder kann die Funktionen der Bauteile nachvollziehen und sogar die Platine nachbauen.
https://www.zeit.de/digital/2012-10/raspberry-pi-open-source-computer

Das Softwarepaket Raspbian ist vorkonfiguriert und kann kostenfrei von der Webseite heruntergeladen werden. Raspbian ist die Distribution Debian für den Raspberry Pi. Das Paket ”Raspbian mit Desktop und empfohlener Software” enthält neben viele anderen Programmen den Internetbrowser Chromium, das Officepaket LibreOffice (Text, Präsentation, Tabellenkalkulation, Grafik, Datenbank), den Player VLC für digitale Videos und Programmierumgebungen für Scratch, Python und Java (Greenfoot, BlueJ). Problemlos nachinstallieren und nutzen lassen sich die Bildbearbeitung GIMP, das Layoutprogramm Scribus und die Audiobearbeitung Audacity.
https://www.raspberrypi.org/downloads/raspbian/

Projektidee beim Schulentwicklungscamp 2019 in Halberstadt

In einem dreitägigen Workshop habe ich zusammen mit 23 Jugendlichen und zwei Lehrerinnen insgesamt 15 Arbeitsplätze mit Raspberry Pi 4B (mit 4 GB RAM) in Betrieb genommen und umfassend getestet. Die beiden Lehrerinnen kommen aus der Sekundarschule Freiherr-Spiegel, die Jugendlichen (alles Jungs aud den Klassen 7 bis 11) stammen aus unterschiedlichen Schulen Sekundarschule, Gemeinschaftsschule, Gymnasium).

Als Arbeitsform habe ich mich für eine offene Projektarbeit entschieden. Als Workshopleiter konnte ich im Vorfeld allerdings nicht einschätzen, wie ausgeprägt die Bereitschaft zur kooperativen Zusammenarbeit unter den Jugendlichen bzw. seitens der Lehrerinnen sein würde. Ich kannte zu Beginn des Workshops keine der beteiligten Personen.

Erster Projekttag – Hardware aufbauen, Software installieren

Alle Personen haben aktiv die notwendigen Arbeitsschritte mit gegenseitiger Unterstützung selber ausgeführt. Die Arbeitsschritte waren u.a. Auspacken der gelieferten Hardware, Gehäuseeinbau der Raspberry Pi, Kopieren der microSD-Karten und Zusammenbau der Monitore. Zur Inbetriebnahme der neuen Minicomputer mussten die microSD-Karten richtig eingesteckt sowie Maus, Tastatur, Monitor und Netzteil angeschlossen werden.

Beim ersten Booten wurden zahlreiche Einstellungen abgefragt und eingegeben, etwa die Einstellungen für Sprache und Tastaturlayout und Zeitzone sowie die Zugangsdaten fürs WLAN. Anschließend waren die Minicomputer eine Weile mit den automatischen Updates der Software beschäftigt. In der Zwischenzeit wurde der Verpackungsmüll entsorgt.

Die nächste Aufgabe bestand darin, die Programme Firefox, GIMP, Scribus und Bildschirmfoto zusätzlich zu installieren. Außerdem musste das deutsche Sprachpaket von LibreOffice nachgeladen werden. In der offenen Projektarbeit gab es wieder genügend kooperative Hilfen, so dass die Softwareinstallation sehr schnell umgesetzt werden konnte, wesentlich schneller und selbstständiger als ich es bei der Vorbereitung des Workshops eingeplant hatte.

Probleme gab es keine. Alle Minicomputer waren nach vier Stunden fertig aufgebaut und auf einem einheitlichen Softwarestand. Wenn ich selber alle Minicomputer hätte fertigstellen müssen, hätte ich selbstverständlich die Software nur einmal konfiguriert und anschließend die microSD-Karte für die übrigen 14 Minicomputer kopiert.

Zweiter Projekttag – Testen der Software

Der zweite Projekttag sollte dazu dienen, die Software auszuprobieren. Würden die Schüler ohne Probleme mit dem Linux-System zurechtkommen? Über welche Kenntnisse verfügen die Jugendlichen und die Lehrkräfte im Umgang mit Computern? Können die Standardaufgaben eigentätig gelöst werden?

In der ersten Aufgabenstellung des Tages sollten die am Vortag verwendeten Teile in einer Tabelle zusammengestellt werden. In einer Internetrecherche sollten die Einzelpreise herausgefunden und bei unterschiedlichen Anbietern verglichen werden. Der günstigste Gesamtpreis für einen Arbeitsplatz sollte kalkuliert werden, u.z. unter Berücksichtigung der jeweiligen Versandkosten. Die jeweiligen Anbieter sollten genannt werden. Alle Arbeitsgruppen haben zu ihren persönlichen Kosten richtig ermittelt und standen dabei im Wettstreit um die niedrigsten Gesamtpreis.

Die Arbeitsphase war sehr spannend zu beobachten. Offensichtlich haben viele der Jugendlichen erstmalig eine derartige Recherche durchgeführt und die Ergebnisse in einer LibreOffice-Tabelle zusammengetragen und zusammengerechnet. Auch die grundsätzlichen Arbeitsschritte Markieren, Kopieren und Einfügen waren nicht allen Jugendlichen geläufig. Sind das Schwächen der einzelnen Jugendlichen? Oder werden Computer im Unterricht wenig zielgerichtet eingesetzt? Die Besonderheit, die Aufgabe mit Linux und LibreOffice statt mit Windows und Microsoft Excel bearbeiten zu müssen, trat übrigens völlig in den Hintergrund und warf keinerlei Probleme auf.

Natürlich waren die Arbeitsgruppen ganz unterschiedlich fertig … und natürlich haben sie Videos bei Youtube gefunden oder verfügbare Spiele ausprobiert. Manche haben sogar das lokal auf den Minicomputern installierte Minecraft Pi gefunden. Jugendliche beurteilen die Qualität von Computer immer auch danach, ob Spiele oder Videos laufen. Diese Nebentätigkeit gehörte mit zum Plan.

Im nächsten Arbeitsauftrag wurden Bildschirmfotos geschossen und anschließend bearbeitet. Das Programm Bildschirmfoto hat für die Aufnahme zahlreiche Optionen, die ausprobiert werden sollten. Ein Bildschirmfoto einer Minecraft-Situation gestaltete sich als besonders schwierig, ist dann aber auch gelungen (Minecraft unterbrechen, Bildschirmfoto um 5 Sekunden zeitverzögert starten, in Minecraft weitermachen).

Die Jugendlichen sollten ihre Bilder in einem Textdokument sammeln und dazuschreiben, wie sie sie fotografiert hatten. Wieder war es für viele der Jugendlichen scheinbar nicht geläufig, Aufgaben dieser Art zu bearbeiten und zielgerichtet fertigzustellen. Sie hatten vorher den Bildschirm immer mit ihrem Handy fotografiert.

Am Nachmittag des zweiten Projekttages wurde intensiv Minecraft im Netzwerk gespielt und einige Sachen mit Scratch ausprobiert. Immer wieder kamen Gäste (Landtagsabgeordnete, Presse, Lehrkräfte, Mitschüler/innen, Eltern) zum Schauen in den Workshop und ließen sich die vorzeigbaren Arbeitsergebnisse zeigen und erklären. Erwähnt wurde in den Gesprächen immer wieder der unschlagbare Gesamtpreis des Raspberry Pi und die Erkenntnis, mit den Minicomputern tatsächlich arbeiten zu können. Okay, Windows-Spiele funktionieren nicht, aber spannend scheint der Minicomputern mit dem Linux-Betriebssystem trotzdem zu sein.

Nach dem Abendessen wollten übrigens viele weitermachen. Der Raum war voll mit Jugendlichen aus dem Workshop und anderen, die die Raspberry Pi ebenfalls mal ausprobieren wollten.

Dritter Projekttag – Hacking, Sicherheitseinstellungen und Datenübertragung

Ein ganz besonderes Highlight am dritten Projekttag war die Präsentation von Santi vom Editha-Gymnasium Magdeburg. Er konnte den anderen Jugendlichen zeigen, wie er nach Freischaltung von ssh und vnc einen anderen Minicomputer fernsteuert. Santi konnte Daten von außen lesen, verändern und löschen, Programme beenden und wieder starten, den Minicomputer neustarten.

Wir haben in der Projektgruppe intensiv die Notwendigkeit von Sicherheitsmaßnahmen diskutiert. Wenn man auf seinen Rechner ssh oder vnc freigibt und andere die Zugangsdaten kennen, muss man sich über Besuch von außen nicht wundern. Genau solche Dinge gehören in den Erfahrungsbereich Heranwachsender, damit sie sich sachgerecht und kritisch mit Computern auseinandersetzen.

Während die anderen bereits beim Aufräumen waren, wollte Leon von der Sekundarschule Freiherr Spiegel unbedingt noch ausprobieren, ob es zwei Bildschirme gleichzeitig am Raspberry Pi anschließen und betreiben kann. Er hatte erwartet, dass beide Bildschirme das Gleiche anzeigen. In den Einstellungen konnte er wählen, wie die Bildschirme reagieren. Sehr beeindruckend, dass beide Bildschirme nebeneinander über 1 Meter breit sind und 3360 x 1080 Pixel darstellen … angesteuert von einem Minicomputer. 

Resüme – Experimente mit Computern können spannend sein

Der Raspberry Pi ist als Computer für den Unterricht und für Projekte unbedingt einsetzbar. Die Leistung des Raspberry Pi 4B mit 4 GB RAM reicht aus, um viele schulische Standardaufgaben damit auszuführen. Der Raspberry Pi ist sehr preiswert. Jugendliche könnten den Raspberry Pi auch zu Hause verwenden.

Jugendliche finden es wichtig zu wissen, wie man mit Computern umgeht, wie sie aufgebaut sind und die die einzelnen Komponenten aussehen. Sie würden im Unterricht gerne mehr mit Computern arbeiten. Ebenfalls wichtig finden sie das Hacking und die diskutierten Sicherheitsmaßnahmen …. im Film sieht man das manchmal, wie jemand die Sperren bei einem anderen Computer überwindet, aber im Workshop haben sie es wirklich erlebt und real ausprobieren können. Wenn übrigens nach solch spannenden Experimenten die Software auf der microSD-Karte nicht mehr richtig funktioniert, lässt sich die microSD-Karte sehr einfach und sehr schnell wieder neu kopieren. Das Kopieren könnte auch ein Schülerteam wie die MedienScouts in der Schule übernehmen … ein wirksames Wartungskonzept für den Raspberry Pi mit seiner Speicherkarte, außerdem die Übernahme von Verantwortung für die schulische IT-Ausstattung.

Eine besonders positive Rückmeldung haben mir drei Schüler gegeben, wahrscheinlich ohne es selber zu merken. Die Schulleitung hatte mir diese drei als notorische Schulschwänzer angekündigt, die ganz sicher nach kurzer Zeit nicht mehr am Workshop teilnehmen würden. Die drei waren die vollständige Zeit anwesend und haben sich aktiv und sehr konstruktiv eingebracht.

Über den Autor

Ralf Krause ist Lehrer für Mathematik, Physik und Informatik. Er hat als Lehrer über 30 Jahre an einer Gesamtschule unterrichtet und ist seit 20 Jahren Referent in der Lehrerfortbildung. Seine Schwerpunkte sind die Nutzung der Lernplattform Moodle und kreative Ideen für das Lernen mit digitalen Endgeräten. Dazu gehören die Nutzung des Raspberry Pi wie auch das Programmieren mit Scratch, Calliope, Arduino oder anderen digitalen Spielzeugen.

Workshop ”Raspberry Pi im Klassenraum” in der Moodle-Plattform von LiGa Sachsen-Anhalt
https://moodle.bildung-lsa.de/liga/course/view.php?id=153