Material A2
„Und was machst du so?" - Karrierefragen kontern (2012)
Es gibt wohl kein Jahrgangstreffen, auf dem sich nicht die Anwesenden miteinander
vergleichen. Die Fragen, die die Neugier diktiert, sind fast überall dieselben: „Was
haben die anderen erreicht? Wo stehe ich? Wer verdient mehr?" Vergleich macht
klug, sagt die Psychologie. Und manchmal neidisch, sagt die Erfahrung. Vermeiden
5 sollten wir die Vergleiche dennoch nicht, Die Hauptsache ist, man findet mit den
doofen Karrierefragen einen schlauen Umgang.
Wir vergleichen uns unwillkürlich und unaufhörlich mit anderen. Nach
psychologischer Lehrmeinung verbringen wir acht Prozent unserer Zeit damit, über
uns selbst nachzudenken. Während und nach einem Klassentreffen dürfte dieser
10 Prozentsatz noch höher liegen. Wir wollen wissen, was für Menschen wir sind und ob
wir mit unserem Leben zufrieden sein dürfen. Regt sich Neid, können wir davon
ausgehen, dass wir noch mehr erreichen wollen. Eine für uns nicht uninteressante
Erkenntnis, Und wie reagieren wir im Augenblick am besten?
Wen die Nadelstiche des Neids treffen, der läuft zunächst Gefahr, ihn beschämt mit
15 falscher Bewunderung zu maskieren. Denn Neid ist - heutzutage eher
gesellschaftlich als religiös - eine Todsünde. Wer neidet, gibt sich als Zu-kurz-
Gekommener zu erkennen und schließt sich damit selbst aus dem Kreis der
Glücklichen aus. Besser ist es, bei sich zu bleiben, die eigenen Stärken zu
fokussieren und die Überprüfung der persönlichen Lebensplanung für später
20 vorzumerken. Während des Klassentreffens hilft die Kölsche Lebensweisheit: „Man
muss och jönne könne."
Warum aber ziehen wir reflexhaft Parallelen zu anderen? Sozialpsychologe Thomas
Mussweiler erklärt hierzu, dass es uns schlicht überfordern würde, müssten wir stets
alle verfügbaren Informationen einholen, um zu einem Urteil über uns selbst zu
25 kommen. Der soziale Vergleich schont geistige Ressourcen. Ohne
Konjunkturanalyse führt der einstige Schulfreund vor, was - vielleicht auf für uns -
erreichbar ist.
Ein Klassentreffen ist in punkto soziale Vergleiche eine Ausnahmesituation. Für
gewöhnlich messen wir uns am Ehepartner oder der besten Freundin, an unserem
30 persönlichen Standardmaßstab. Während des Wiedersehens mit den ehemaligen
Mitschülern lassen wir den zu Hause. Unser Selbstwertgefühl erlebt bei der
Schilderung fremder Lebensläufe Wechselbäder. Doch gerade die regen an. Auf
Klassentreffen können wir unsere Komfortzone verlassen. Und uns einen eigenen
Neuaufbruch besser vorstellen.
35 Jeder Ratgeber im Regal der Bahnhofsbuchhandlungen empfiehlt zur Steigerung des
Selbstwertgefühls „nach unten" zu vergleichen, also die Augen dafür offen zu halten,
wie viele längst nicht das geschafft haben, was man selbst auf die Beine gestellt hat.
Eine gangbare Strategie, die aber kaum hilft, den eigenen Horizont zu erweitern.
Eine Alternative hierzu lässt sich aus einer bemerkenswerten Erkenntnis der
40 Forschungsgruppe um Thomas Mussweiler ableiten: Wer während der Unterhaltung
Gemeinsamkeiten mit dem bewunderten Gesprächspartner sucht, fühlt sich ihm
ähnlicher - und damit erfolgreicher - als derjenige, der im Gespräch Unterschiede
oder Trennendes betont. Wir profitieren von sozialen Vergleichen - und das am
meisten, wenn wir sie bewusst anstellen.
StayFriends GmbH (Hg.): „Und was machst du so?“ – Karrierefragen kontern. (bearbeitete Fassung)
URL: http://www.stayfriends.de/magazin/Karrierevergleiche (Abruf: 06.09.2019)